Uschi Zietsch: Der Alp

deutschsprachigUschi Zietsch: deutschsprachigDer Alp. deutschsprachigFabylon-Verlag 1993, ISBN 3-927071-11-0, »Hardcover« mit billiger Leimbindung und Schutzumschlag 12,7 cm x 20,5 cm, Titelbild und 4 Illustrationen von Alexander Urbanek, 87 Seiten, 21,00 DM, jetzt 10,70 Euro

Uschi Zietsch: Der Alp

Der Ich-Erzähler oder die Ich-Erzählerin (das Geschlecht wird nie spezifiziert, daher verwende ich der Einfachheit halber die männliche Form) ist ein Alien mit 4 Tentakeln, der seit seiner Kindheit den Alptraum hat zu erblinden. Also ergreift er Maßnahmen, mit einer eventuellen Blindheit zu leben. In der Gesellschaft gibt es weder Kranke noch Arme. Dann hat der Ich-Erzähler einen Unfall und ist danach gelähmt, kann niht mehr gehen und auch die Tentakel nur noch eingeschränkt verwenden. Er kommt in ein Sanatorium, wo er oft von seiner Familie besucht wird. Doch die Besuche werden seltener, und er wird in ein schlechteres Gebäude verlegt. Als die Familienbesuche ganz aufhören, wird er erneut verlegt in ein wirklich miserables Haus, eher ein Gefängnis. Dort trifft er in der Krankenstation einen alten Mann, der ihm erzählt, wenn er seinen Geist vom Körper trennen würde, könne er andere, vielleicht bessere, aber vielleicht auch schlechtere Welten finden. Er riskiert es. - In einer absolut hierarchischen Stadt, die eigentlich ein Forschungsinstitut ist, wächst er als Angehöriger der zweithöchsten Schicht auf. Doch dann kommt heraus, daß sein Vater betrogen hat, er ist genetisch minderwertig, weil seine Stimmbänder die Hochsprache nicht artikulieren kann. Statt Forscher zu werden, endet er als Forschungsobjekt und Versuchstier. - In einer seit langem friedlichen Gesellschaft scheint alles perfekt zu sein, eine gerechte Regierung etc. Doch Individualismus wird verfolgt, und der Ich-Erzähler landet ohne klare Anklage im Gefängnis.

In insgesamt 4 Welten kommt immer wieder der Alptraum hinter dem scheinbaren Paradies hervor. Dabei zeigt die Novelle einige gesellschaftliche und politische Probleme auf, ohne daß diese offensichtlich ist. Unser Verhalten zu Kranken und Behinderten, zu Andersartigen und Ausländern, zu Individualisten, die sich nicht ins Schema pressen lassen, wird hier als Alptraum für die Betroffenen bloßgestellt. Sie leiden vor allem unter der Ignoranz und Gleichgültigkeit ihrer Peiniger, die sich für normal halten und auf die »unnormalen« Opfer herabsehen oder sie einfach ignorieren. Am Ende wird herausgestellt, daß dieser Alptraum aus uns selbst kommt, denn unsere eigene Bosheit, unsere eigene Überheblichkeit, unsere eigene Ignoranz prägen unsere Umwelt. Wie kann es da ein echtes Paradies geben?

Die Lebensgeschichten werden geradlinig, aber eindringlich erzählt. Dabei hilft die Erzählweise aus der Ich-Perspektive - diese Novelle ist ein Paradebeispiel für die seltenen Fälle, in der eine Ich-Erzählweise besser funktioniert als eine distanzierte in der dritten Person, die zusätzliche Einblicke in andere Personen ermöglichen würde. Hier ist aber nur der Ich-Erzähler wichtig. Außerdem schreibt Uschi Zietsch in einer klaren, einfühlsamen und eindringlichen Sprache, die entscheidend dazu beiträgt, daß diese Novelle eine richtig runde Geschichte ist. Die Geschichte regt unaufdringlich zum Nachdenken über unsere jetzige reale Welt an - meiner Meinung nach das größte Lob, das ich einer SF-Geschichte geben kann.

Das Buch habe ich von der Autorin selbst auf dem ColoniaCon 2006 erworben, zugegebenermaßen ihrer Bemerkung, es handle sich um Science Fiction, mißtrauend. Die Lektüre hat mich eines Besseren belehrt. Grund für meine Zweifel war das Titelbild von Alexander Urbanek, das auf das Genre Horror schließen läßt. Das stimmt vom Inhalt ja auch ein wenig, es geht letztlich um den Albtraum Leben. Auch wenn Titelbild und Innenillustrationen nicht mein Geschmack sind und nicht wie von mir bevorzugt Szenen aus dem Buch darstellen, passen sie perfekt zum Inhalt, bleiben dabei aber eigenständig. Das ist eine kongeniale Komposition aus zwei Kunstwerken (Illustrationen und Novelle), die voneinander unabhängig sind und sich dennoch ideal ergänzen. Uschi Zietsch hat mir dazu noch eine interessante Anekdote erzählt: »Das Cover hat der Künstler [Alexander Urbanek] zufälligerweise unter dem Titel »Der Alp« als Bewerbung zu mir geschickt, als ich das Buch gerade fertig hatte. Ganz klar, dass ich das nahm und ihn dann noch um die Innenillus bat.«

Fazit: Gute, eindringliche Sprache, passende Perspektive und gut eingebaute Gesellschaftskritik machen »Der Alp« zu einer sehr guten Geschichte, in der alles aufeinander abgestimmt ist. Sehr gut gefallen hat mir die Schlußpointe, die sich dem Leser erst erschließt, wenn er die letzte Seite umblättert. Sehr angenehm ist auch das hochwertige Glanzpapier, das nicht nur die Illustrationen perfekt abbildet, sondern sich auch beim Umblättern gut anfühlt. Nur eines hat mir am Buch nicht gefallen: Obwohl Hardcover, ist das Buch nicht per Fadenheftung gebunden, sondern wie ein Taschenbuch nur geleimt. Über diese Möchtegern-Hardcover ärgere ich mich immer wieder. Trtotzdem ist das Buch unbedingt empfehlenswert! Das Buch ist nach wie vor beim deutschsprachigVerlag lieferbar!


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Erstellt am So, den 09.09.2007 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Sa, den 13.12.2008 um 14:31.