Carsten Schöngarth: Sternenstaub Teil I [Sternenstaub Band 1]

Carsten Schöngarth: Sternenstaub Teil I [Sternenstaub Band 1]. ??? 2009, Verlag Pro Business, ISBN 3-86805-326-3, Paperback 14,8 cm x 21 cm, 492 Seiten, 16,90 Euro

Carsten Schöngarth: Sternenstaub Teil I [Sternenstaub Band 1]

Das Gehirn von Ich-Erzähler Ben Pierpoint ist ausgebrannt, er sitzt seit einem Selbstmordversuch nach dem Tod seiner Frau Jessy im Rollstuhl und wartet auf den Tod. Zu seinem 50. Geburtstag soll er sich für seine Tochter Shannon und ihren Freund Nick, der sich im Filmgeschäft etablieren will, an die Geschehnisse erinnern, die zu seiner heutigen tragischen Existenz geführt haben. Ben, damals erfolgreicher Rechtsanwalt und glücklicher Ehemann und Vater, spricht auf einem Klassentreffen ca. 2008 mit seinen Freunden DJ Rikki Duncan, Automechaniker Frank Keting, seiner Frau Kampfsportlerin Yin und dem Physik- und Chemiegenie Robert Caine über Roberts alten Traum, eine Transportmöglichkeit durch Raum und Zeit zu finden. Robert hatte tatsächlich Erfolg, allerdings wird nicht der Körper transportiert, sondern nur die Seele, ein Energiefeld, das aus einem funktionierenden Mechanismus erst ein lebendes Wesen macht. Robert selbst unternimmt als erster Mensch die Reise, die ihn in seine eigene Vergangenheit führt. Auch Frank, Rikki und schließlich Ben wagen das Experiment, das sie geradezu süchtig macht. Doch die Dimensionsreisen schwächen die Grenzen zwischen den Dimensionen, und erste Seelen aus dem Jenseits erhalten Zugang zu unserer Welt...

Aus einer Science-Fiction-Geschichte mit etwas vager technisch-wissenschaftlicher Basis wird recht bald eine Mischung aus Katastrophen- und Horrorgeschichte. Die Handlung wird zumindest für mich schnell logisch nicht mehr nachvollziehbar. Ohne jegliche Erklärung tauchen plötzlich übernatürliche Dinge wie Schutzgeister und Seelenfallen auf, letztere sehen zunächst nach Konstruktionsfehlern im Dimensionsgefüge aus, später kommt eine nicht näher spezifizierte böse Macht hinzu, die diese Fallen vorsätzlich erzeugt haben könnte. Die wissenschaftlichen Grundlagen, die am Beginn des Buches genannt werden, sind ebenfalls nicht schlüssig und entsprechen nicht dem aktuellen Stand der Forschung - derzeit sieht es so aus, als ob es nur 10 Dimensionen gibt, nicht unendlich viele. Auch die Erzählung schwenkt ziemlich schnell von einer rationalen Herangehensweise auf eine emotionale, beängstigende Ebene um. Daher sehe ich dieses Buch als Horror mit SF-Elementen an. Der Verlag listet es auf seiner Homepage in der Kategorie Fantasy.

Die Geschichte wird gut und flüssig erzählt, allerdings hat der Autor den Spannungsbogen zerstört, indem er ganz am Anfang schon deutlich sagt, daß Bens Frau und seine Freunde tot sind und Ben Hirnschäden davongetragen hat. Der Leser wartet also nun ungeduldig, die wenigen fehlenden Puzzlestückchen zu erhalten, Spannung kommt aber aufgrund des bereits bekannten Endes keine mehr auf. Eine weitere große Schwäche des Romans ist seine Weitschweifigkeit. Viele Seiten werden auf die detaillierte Beschreibung von Szenen aus Bens Jugend und Kindheit verwendet statt auf die Weiterentwicklung der eigentlichen Geschichte. Über weite Strecken liest sich das Buch eher wie die Autobiographie eines US-amerikanischen Anwalts als wie ein Roman. Das Buch bedarf einer konsequenten Straffung, statt eines Ziegelsteins sollte es eher en Umfang eines normalen Taschenbuchs haben. Dabei liest es sich durchaus angenehm, aber aufgrund der überhandnehmenden Beschreibungen in Koinzidenz mit der fehlenden Spannung durch die Vorwegnahme des Endes droht es den Leser zu langweilen. Ich selbst hatte große Mühe, das Buch komplett durchzulesen, und hätte es spätestens nach knapp 200 (von insgesamt 492) Seiten weggelegt, wenn ich es nicht für den Deutschen Science Fiction Preis hätte beurteilen müssen.

Neben einem guten Lektorat zur Straffung der Erzählung benötigt das Buch auch ein gutes Korrektorat. Dabei ist die Rechtschreibung von den zu erwartenden kleinen Fehlern abgesehen gut, aber die Interpunktion, speziell das Setzen und Nichtsetzen von Kommata, ist unerträglich falsch. Da Kommata dazu dienen, längere und kompliziertere Sätze in sinnvolle Einheiten zu gliedern, führt die Falschsetzung derselben im hier zu beobachtenden Ausmaß dazu, daß viele Sätze auf den ersten Blick mißverständlich oder gar völlig unverständlich sind. Die Notwendigkeit, alle paar Sätze darüber nachzugrübeln, wo die Kommata denn nun eigentlich hingehören und was überhaupt gemeint ist, haben mein Lesetempo um mehr als ein Drittel reduziert und mein Lesevergnügen in den negativen Bereich gebracht. Nochmal werde ich mit "Sternenstaub" in seinem derzeitigen Zustand definitiv nicht antun. Weine weitere für mich sehr lästige Eigenart des Buches ist die konsequente Kleinschreibung des Anrede-Sie in der wörtlichen Rede. Das ist zwar leider nach der neuen Rechtschreibung erlaubt, trägt aber noch zusätzlich zur Verwirrung des Lesers bei. Außerdem gibt es im Buch sehr viele Zeilenumbrüche, die an diese Stelle nicht gehören. Es hat den Anschein, als ob beim Seitenlayout der Zeilenumbruch nicht korrekt funktioniert hat.

Buchbinderisch ist das Buch gut ausgeführt. Laut Impressum wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt, dieses weist allerdings schon jetzt einen deutlichen Gelbstich auf, der aber möglicherweise normal ist. Satz und Schrift sind abgesehen von den immer wieder auftretenden Zeilenumbrüchen an falschen Stellen gut, die Zeilenlänge ist allerdings aufgrund des großen Formats zu groß für angenehmes Lesen. Das Papier des Umschlags könnte etwas dicker sein, dann würde es sich hoffentlich nicht mehr so stark aufrollen. In dieser Hinsicht ähnelt der Umschlag sehr dem der frühen Ausgaben des Verlagskonkurrenten Books on Demand in Norderstedt, im Gegensatz zu diesen weist der Umschlag von »Sternenstaub« einen Lesefalz einen knappen Zentimeter vom Buchrücken entfernt auf.

Die Protagonisten des Romans sind aus Klischees aufgebaut: Der etwas weltfremde Wissenschaftler, der erst einmal alle Warnsignale ignoriert, um weiterforschen zu können, der jointrauchende Jamaikaner mit dem losen Mundwerk (das im Laufe des Buches wirklich lästig wird), das labile Muttersöhnchen, das nach dem Tod der Mutter zu Saufen beginnt und in eine andere Welt flüchten will, die toughe Asiatin, die überbesorgte Ehefrau und die skrupellosen CIA-Agenten sind fast in Reinform vertreten. Eine Charakterentwicklung findet so gut wie nicht statt, selbst Ben bleibt zweidimensional, doch zumindest bei ihm gelingt es Carsten Schöngarth, ihn dem Leser näherzubringen, wenn auch nur durch den erzählerischen Kniff der Ich-Perspektive. Bei den CIA-Agenten erliegt der Autor dem Klischee völlig: Die CIA ist ein Auslandsgeheimdienst, für Projekte wie Aprilthunder wäre der Inlandsgeheimdienst NSA zuständig. Unschön für Literatur deutscher Herkunft finde ich die Verwendung nichtmetrischer Maßeinheiten wie Fuß, Yard und Meile, mit der der Autor vermutlich versucht, das USA-Feeling zu verstärken.

Fazit: Überhandnehmende Beschreibungen, das zu Beginn verratene Ende und eine völlig falsche Kommasetzung verleiden den Genuß eines eigentlich ordentlich und flüssig erzählten Werkes. Insbesondere bei der Zeichensetzung ist eine Überarbeitung unbedingt notwendig, um es lesbar zu machen. Eine richtige Überarbeitung und Straffung könnte sogar zu einem wirklich guten Roman führen. Aufgrund der Genremischung mit Horror ist es nicht für reine SF-Leser wie mich geeignet. Im momentanen Zustand muß ich leider von diesem Buch abraten.


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Erstellt am Fre, den 09.10.2009 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Mio, den 14.10.2009 um 20:12.