Uwe Post: Symbiose

Uwe Post: Symbiose. Stolberg März 2009, Atlantis Verlag, ISBN 3-941258-11-7, Paperback 14,9 cm x 21,0 cm, 197 Seiten, 12,90 Euro

Uwe Post: Symbiose

Aric Ekloppos, seines Zeichens nicht sonderlich intelligenter Einwohner von Amsterdam 2.0 und verliebt in Tiga, die per Castingshow bestimmte neue Weltkaiserin, wird bei deren Krönungszeremonie von der Menschenmasse fast totgetrampelt und dadurch kurzzeitig zum Medienstar. Als er sich in der Hoffnung, Tiga vorgestellt zu werden, mit der Politikerin Dr. Kala einläßt, wird er bei einem Überfall der Steeldogs, die Symbionten ablehnen und an Technologie festhalten, als Geisel genommen. Aniaa Karim studiert wie ihre Freundin Vita Symbionik, ist allerdings seit ihrer Rückkehr von einem Stipendium auf Vyrrov nur noch mit ihrer neuen Vyrroc-Freundin Pschist-i und deren Baby Schiut-e beschäftigt. Vita stellt anhand Aniaas Klokröte und anderer Quellen fest, daß die Vyrroc eine unbekannte organische Substanz, vermutlich ein Gift, in die irdische Ökosphäre einbringen. Kurzentschlossen nutzt Vita die Verliebtheit eines Kommilitonen, um dessen Mutter, die Politikerin Dr. Kala, mit ihren Ergebnissen zu konfrontieren. Doch einige Politiker wissen längst bescheid, haben es jedoch nicht für nötig befunden, der Bevölkerung auch etwas zu sagen, und bereiten klammheimlich ihre Flucht von der Erde vor. Vita durchkreuzt ihre Pläne, indem sie mit einer versteckten Telephonschnecke einen Mitschnitt an den wichtigsten Nachrichtensender übermittelt. Leop Üller ist ein Symbioniker am Heidelberger Biotools-Institut und heimlich unheimlich in seine Kollegin Mooha verliebt. Als diese verschwindet, stellt er Nachforschungen an und stellt fest, daß sie an einem Starbug gearbeitet hat, mit dem Politiker und andere sich für wichtig haltende Leute vor einem Weltraumhai flüchten wollen, der die Erde nächsten Freitag zerstören wird.

Ein Weltraumhai, der die Erde fressen will? Ja nee, is klar... Uwe Post zeigt einmal mehr, daß er auf ziemlich schräge Ideen kommt. Bislang ist mir noch kein Weltraumhai untergekommen, aber im Jugendbuch »« von ?? legt ein Weltraumvogel ein riesiges Ei in der Nähe der Erde ab, damit das Küken sich nach dem Schlüpfen an der Erde gütlich tun kann. Möglicherweise ist der Weltraumhai das größte Biotool des Romans, denn es wird das Vorhandensein biologischen Materials auf dem Asteroiden bestätigt, jedoch nicht genauer darauf eingegangen, ob der Hai nun auf biologischem oder technologischem Wege mit einer multidimensionalen Planetenschälmaschine ausgestattet wurde.

Die Gesellschaft hat sich an die Allgegenwart der Symbionten angepaßt und entsprechend weiterentwickelt, will heißen, statt der wehrlosen Menschen in den unteren Gesellschaftsschichten werden jetzt die Symbionten ausgebeutet. Besonders eindringlich deutlich wird dies bei Aniaas Besuch im defekten Callcenter mit den hilflosen Meerkatzen-Agenten. Symbiose ist das eigentlich nicht, der Mensch führt sich weiterhin wie ein Parasit auf. Symbionten gibt es für alle möglichen Aufgaben, ich habe im Buch 52 verschiedene Varianten gezählt (einige davon sind vermutlich nur unterschiedliche Bezeichnungen für denselben Symbionten), darunter so nützliche wie der Trinkuin (Getränkeautomat auf Pinguinbasis), die Klokröte und der Scallaway (von englisch »scales away - Schuppen weg«). Auch die einzige bekannte intelligente außerirdische Lebensform, die Vyrroc, verwenden schon sehr lange Symbionten. Gegenüber der Technik haben sie den Vorteil biologischer Abbaubarkeit, aber das ethische Problem, daß hier Lebewesen mißbraucht werden (im Falle der Botenelfen im wörtlichen Sinne). »Symbiose« ist der erste von mir gelesene Roman, der die Möglichkeiten der Genmanipulation wirklich ausschöpft, auf alle Lebensbereiche überträgt und bis zum logischen Ende durchdebkt, sowohl vom technologoischen als auch vom gesellschaftlichen Standpunkt her. Die Steeldogs sind die Antithese der Symbiose und verkörpern die auf die Spitze getriebene Technikgläubigkeit (allerdings, wie auch bei der Genmanipulation, ohne den menschlichen Körper einzubeziehen). Sie können zwar einen Zwischensieg gegen die Politiker erringen, haben der Symbiose aber letztlich nichts entgegenzusetzen.

Die Politiker machen im Grunde weiter wie bisher - sie sind korrupt, verlogen, unfähig und von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt, doch in Wirklichkeit völlig überflüssig. Es muß aber in der Vergangenheit einmal einen intelligenten Politiker gegeben haben, auch wenn das eigentlich ein Oxymoron ist, denn das ist die einzige Erklärung, wie es dazu kommen konnte, daß Korruption jetzt legal ist und das Ministerium für Meinungsschutz (dessen Name mich an das US-amerikanische Ministerium für Heimatschutz erinnert) jegliche Opposition im Web3D zensiert und deren Urheber in Internierungslager steckt. Wenn das Desinteresse der Bevölkerung an politischen Entscheidungen weiter zunimmt, wird sich das recht bald durchsetzen lassen, Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung und Sperrung von Internetseiten durch das Bundeskriminalamt sind alles Schritte in diese Richtung und zeigen deutlich, daß unsere gegenwärtigen Politiker nicht etwa zum Wohle des Volkes, sondern nur zu ihrem eigenen Wohl handeln. Wie bitte, lieber Leser, diese Aussage sei zynisch und daher in einer Rezension fehl am Platze? Dat tut mir äwwer leid, das ist nicht zynisch, nur realistisch. Italien ist da schon einen Schritt weiter, dort regiert ein verurteilter Verbrecher (Silvio Berlusconi) vor allem aufgrund seiner Medienmacht. Auch in »Symbiose« wird der Politikapparat zum Medienzirkus, wie es die letzten Wahlen in Deutschland und vor allem den USA bereits gezeigt haben. Weltkaiserin Tiga wurde durch eine Castingshow ausgewählt...

Lacher bietet das Buch kaum, was aber mitnichten bedeutet, daß Uwe Post seinem schrägen Humor untreu wurde, ganz im Gegenteil! Der Roman ist von bissig-ätzender Satire durchzogen, die einem das Lachen im Halse steckenbleiben läßt. Treffsicher zielt der Autor auf die gern verdrängten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit: korrupte Politiker, desinteressierte Bevölkerung, verdummendes Unterhaltungsprogramm, hohe Arbeitslosigkeit, Zensur und Polizeiüberwachung »zu unserem Schutz«. Er enttarnt die Mechanismen und spinnt die Auswirkungen auf humorvoll-bissige Art weiter: Nur wer schön brav dumm und gutgläubig bleibt, dem geht es gut. Selbst nach der existentiellen Krise mit dem Weltraumhai macht die Menschheit einfach weiter wie bisher - glücklicherweise ohne die Politiker, die jetzt Aliens auf die Nerven gehen. Damit wurde dann doch erreicht, was ich zunächst vermutet hatte: Daß der Hai die Politiker von der Erde vertreiben sollte, ähnlich wie in der »Anhalter«-Trilogie in 5 Bänden von Douglas Adams, wo der Rest des Planeten dann glücklich weiterleben kann.

Die Charakterisierung der Protagonisten läßt leider zu wünschen übrig, sie kommen kaum über Stereotypen hinaus. Bei den Politikern und wohl auch bei Dummkonsument Aric Ekloppos ist das vermutlich beabsichtigt, bei den anderen Personen aber wohl nicht. Möglicherweise standen starke Charaktere der Satire im Wege. Auffällig ist, daß alle Handelnden von im Kern sexuellen Gründen getrieben werden: Aric ist in die Kaiserin verliebt und versucht ihr näherzukommen, Leop stolpert durch seine heimliche Liebe zu Mooha über das Geheimnis der Politiker, Aniaas Beziehung sowohl zu Pschist-i als auch zu Vita haben ebenfalls eine deutliche erotische Komponente, Vita stellt erst durch ihre Eifersucht die Experimente an, die sie das Vyrroc-Gift entdecken läßt, und die Politiker scheinen sowieso alles zu vögeln, was nicht bei Drei aufm Baum ist. Der spätnachmittägliche Schwarm darf dies gegen Ende des Werkes genüßlich kommentieren.

Manche der Namen scheinen ein wenig verdreht oder verstümmelt zu sein, so könnte Leop Üller auch Leo Müller sein, und Eisengeneral Karsch, der Anführer der Steeldogs, käme auch gut ohne den ersten Buchstaben seines Nachnamens aus. Ein wenig die Ausnahme bildet Vita, deren Name »Leben« bedeutet und die möglicherweise aufgrund der dadurch erzeugten Ironie der einzige benannte Charakter ist, der im Buch stirbt. Vielleicht ist ihr Tod auch eine Art Strafe oder Sühne dafür, dank ihrer veröffentlichten Enthüllung über Weltraumhai und Vyrroc-Gift Schuld am Tod vieler Lebewesen, vor allem Symbionten und Vyrroc, zu sein. Ironischerweise führt gerade ihre eigentlich richtige Handlung, die Geheimhaltung durch die Politiker zu durchbrechen, zu großem Leid.

Der Tod Vitas durch ein entwischtes mißglücktes genetisches Experiment ist eines der wenigen Stellen im Buch, die die Gefahren der Gentechnik illustrieren. Leider wird dieses Thema fast völlig ignoriert, dabei zeigen sich bereits an genverändertem Mais als Futtermittel Anzeichen, daß die Fortpflanzungsfähigkeit der damit gemästeten Tiere stark vermindert ist. Andererseits wäre das natürlich eine einfache Möglichkeit, das Problem der globalen Überbevölkerung in den Griff zu bekommen... Uwe Post hat sich entschieden, den Schwerpunkt seines Buches auf die Gesellschaftskritik zu legen, nicht auf die Gefahren der Gentechnik.

Der Roman wird in klarer, eindringlicher und unverschnörkelter Sprache erzählt. Der Stil zeichnet sich durch das Verständnis unterstützende moderate Komplexität, einige wirklich außergewöhnliche Metaphern und Vergleiche sowie die Bereitschaft aus, auch Dinge offen auszusprechen, die als politisch unkorrekt oder unterhalb der Gürtellinie liegend oft verschwiegen werden. Der Spannungsbogen ist nicht sehr straff gespannt, hat aber auch keine Durchhänger, so daß der Leser zum Weiterlesen animiert wird. Das Buh liest sich leicht, flüssig und vergnüglich - sofern man derartig bissige Satire als Vergnügen bezeichnen kann.

Fazit: Cyberpunk ist tot, es lebe der Biopunk! Zwar lassen Personencharakterisierung und Warnung vor den Gefahren der Gentechnik zu wünschen übrig, aber der Roman ist flüssig erzählt und bietet beste Unterhaltung auf höchstem Niveau vermittels beißender Satire. Die kompromißlose Abkehr von der Technik und Hinwendung zur Gentechnik ist konsequent durchdacht und dürfte mindestens in der deutschsprachigen Science Fiction Maßstäbe setzen. Unbedingt lesenswert!


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Erstellt am Sa, den 08.08.2009 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Di, den 11.08.2009 um 23:47.