Thomas Lehr: 42

Thomas Lehr: 42. Aufbau-Verlag 2005, ISBN 3-351-03042-8, »Hardcover« mit billiger Leimbindung und Schutzumschlag 21,5 cm x 12,5 cm, 368 Seiten, 22,90 Euro

Thomas Lehr: 42

Am Montag, 14. August (vermutlich 2000) um 12:47:42 bei einer Besichtigung des CERN in der Nähe von Genf wird plötzlich die ganze Welt in der Zeit eingefroren, nur 70 Menschen in unmittelbarer Nähe des DELPHI-Detektors sind »chronifiziert«, haben eine Art Hülle aus normallaufender Zeit um sich herum. Ich-Erzähler Adrian ist Wissenschaftsjournalist und hält seine Erlebnisse in Notizbüchern fest. Die chronifizierten Wissenschaftler des CERN versuchen, dem Phänomen auf den Grund zu gehen, machen jedoch keine Fortschritte. In der Zwischenzeit amüsieren sich viele Chronifizierte mit den wehrlosen »Fuzzis«. Schließlich läuft nach fünf Jahren die Zeit für drei Sekunden wieder normal, bis sie wieder einfriert. Die weitverstreuten Chronifizierten treffen sich wieder in Genf.

Das Buch ist in fünf Kapitel aufgeteilt, die nach den fünf Phasen der Chronifizierung benannt sind (welche sich an die sieben Phasen der Reaktion auf die Bekanntgabe einer tödlichen Krankheit anlehnen). Dementsprechend versucht sich der Autor auch ein wenig als Psychologe sowie als Philosoph, beides will aber nicht recht gelingen. Das führt dazu, daß der Ich-Erzähler die meiste Zeit des Buches einfach dahinschwafelt. Dabei bemüht sich der Autor um einen anspruchsvollen Schreibstil, den er dadurch zu erreichen sucht, daß er schön gelehrt klingende Worte erfindet und seine sowieso viel zu ausführlichen Beschreibungen mit Adjektiven völlig überfrachtet. Handlung gibt es dabei kaum, hauptsächlich selbstverliebtes Geschwafel. Vermutlich will der Autor damit das Seelenleben seines Ich-Erzählers dem Leser näherbringen und außerdem bei Literaturkritikern Punkte Sammeln. Dummerweise ;-) bin ich kein Literaturkritiker, so daß der Effekt, den der Autor bei mir erzielt, der der grenzenloser Langeweile und des anstrengenden Lesens ist. Es gibt bislang nur ein anderes Buch, bei dem ich mich derart gelangweilt habe: »Ende gut« von Sibylle Berg. Das hatte immerhin den Vorteil einer frischen unverkrampften Sprache, die diesem Buch völlig abgeht.

Am liebsten hätte ich das Buch nach den hundert Seiten Gnadenfrist, die ich jedem Buch zugestehe, in die Ecke geschmissen und damit nichts verpaßt. Leider mußte ich das Buch bis zum völlig unbefriedigenden Ende durchlesen, da es für den DSFP 2006 nominiert ist. Leider wird das Buch meinen Erwartungen in keiner Weise gerecht: Der gute Stil und hohe Anspruch sind derart dilettantisch und bemüht konstruiert, daß es beim Lesen regelrecht im Gebälk knirscht. Wenn man diesen aufgesetzten Firlefanz einmal wegläßt und sich den Kern der Geschichte anschaut, bleibt eine gute Idee übrig, die stümperhaft umgesetzt und mit dem Ende völlig verhunzt wurde. Das ist außerordentlich schade, denn die Idee ist gut, und der Autor zeigt ein ordentliches Verständnis für die Quantendynamik der Zeit, soweit sie von den Physikern momentan verstanden (bzw. diskutiert) wird. Kräftige Kürzungen, ein einfühlsamer Schreibstil, der Verzicht auf pompöse Beschreibungsorgien und ein besseres Ende würden diesem Buch guttun, könnten es im Verein vielleicht sogar lesenswert machen.

Der Titel des Buches bezieht sich übrigens nicht auf die berühmte Antwort auf die letzte Frage (Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaxis (The Hitchhiker's Guide to the Galaxy)), sondern darauf, daß die Zeit in der 42. Sekunde stehenblieb, was auf Japanisch eine Doppelbedeutung als Unglückszahl hat.

Fazit: In der vorliegenden Fassung ist das Buch schwer verdaulicher und höchst langweilig dargebotener Stoff. Da außerdem der Preis recht hoch ist und die handwerkliche Verarbeitung (Leimbindung statt Fadenheftung) den Preis nicht rechtfertigt, kann ich von diesem Buch leider nur abraten.


Copyright ©2006 Martin Stricker.
Liste meiner Rezensionen
Listen mit deutscher Science Fiction Listen mit deutscher Science Fiction
Erstellt am Di, den 18.04.2006 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am So, den 03.12.2006 um 19:20.