Karsten Kruschel: Vilm - Die Eingeborenen [Vilm Band 2]

Karsten Kruschel: Vilm - Die Eingeborenen [Vilm Band 2]. Nittendorf Juli 2009, Wurdack Verlag, ISBN 3-938065-54-0, Paperback 13,5 cm x 21,0 cm, 225 Seiten, 12,95 Euro

Christoff Masurat, Raumschifflotse mit einem geradezu unerklärlichem Glück, will vor seinem baldigen Tod unbedingt noch den verschollenen Weltenkreuzer »Vilm van der Oosterbrijk« finden, was ihm tatsächlich gelingt. Die mit Eingesichtern verbundenen Vilmer haben in der Zwischenzeit mit verschiedenen einheimischen Früchten experimentiert, die zum Teil psychotrope Drogen enthalten, die speziell auf die Mensch-Eingesicht-Verbindung wirken. Nach ihrer Entdeckung versuchen die Vilmer zunächst, die Besonderheiten ihrer jüngeren Generation zu verbergen. Der Reporter Kevin muß diese Geheimhaltung am eigenen Leib erfahren. Die politische Situation spitzt sich zu - bei der Zerstörung der »Vilm van der Oosterbrijk« haben viele Versicherungsgesellschaften hohe Summen verloren, die diese nun mittels der hinter ihnen stehenden politischen und gesellschaftlichen Parteien wieder hereinholen wollen. Außerdem möchte das menschliche Oberkommando auf Atibon Legba verhindern, daß sich ein weiterer Planet abspaltet. Die politische Krise spitzt sich zu, es könnte sogar zu einem Krieg kommen...

Der Roman geht nahtlos vom ersten in den zweiten Teil über, die Trennstelle ist sehr gut gewählt. Band 2 beginnt mit der ersten Stelle des Romans, der nicht an Bord der »Vilm van der Oosterbrijk« oder auf Vilm spielt. Man merkt dem 2. Band jedoch an, daß er nicht als eigenständiges Buch geplant war - viele Rückgriffe auf Band 1 erfordern zum Verständnis, daß man Band 1 noch im Kopf oder zumindest griffbereit liegen hat.

Machte Band 1 noch den Eindruck einer Sammlung von lose miteinander verbundenen Kurzgeschichten, so ist Band 2 zum großen Teil wie aus einem Guß, nur zum Ende löst er sich wieder in nicht adäquat miteinander verbundene Einzelgeschichten auf. Meiner Meinung nach erfordern zwei Handlungen, die anhand von Altersangaben 10 Jahre auseinanderliegen müssen, innerhalb eines Romans eine gewisse Überleitung.

Der bereits in Band 1 angedeutete Hintergrund wird nun etwas ausgestaltet, leider bei weitem nicht in dem Maße, das ich mir gewünscht habe. Vieles bleibt weiterhin unklar oder wird nur erwähnt, und es ist mir noch immer schleierhaft, wie sich »das Papst« und die Goldene Bruderschaft entwickelt haben. Die Bruderschaft ist extrem geldgierig und somit egozentrisch, dazu paßt überhaupt nicht, daß ihre Brüder (die auch weiblich sein können), bereit sind, zum Erreichen der Ziele der Bruderschaft sogar zu sterben - völlig unlogisch für raffgierige, selbstbezogene Kapitalisten, wer tot ist, hat ja nichts mehr von seinem Geld!

Leicht getarnt enthält der Roman einige politische Aussagen. Die Päpstin steht stellvertretend für die Religionen und darf die gegen diese herrschenden Vorurteile widerlegen, dabei wird die Religion zur Abwechslung einmal positiv dargestellt. Das Oberkommando auf Atbon Legba, das notfalls mit Waffengewalt verhindern will, daß sich Vilm für unabhängig erklärt, steht aufgrund der Entstehungszeit der Bücher (kurz vor dem Mauerfall) wohl für das Sowjetsystem in Rußland, das ebenfalls alle Abspaltungsversuche und Freiheitsbewegungen mit mörderischer Gewalt bekämpft hat, eine Tradition, die leider auch beim derzeitigen Putin-Regine beibehalten wird. Hier wäre zum Verständnis wichtig zu wissen, inwieweit der ursprüngliche Roman vor der Drucklegung noch an die heutigen Verhältnisse angepaßt wurde, denn das Verhalten des Oberkommandos würde auch gut zur Kanonenbootpolitik der USA passen, die ebenfalls eine lange Tradition hat und zuletzt unter den beiden Präsidenten Bush zu neuer Blüte gelangte. Die Goldene Bruderschaft ist unverkennbar der reine Kapitalismus, der ohne eigenen Vorteil nicht einmal bereit ist, gegen Unrecht einzuschreiten, dafür aber für Geld einfach alles tut, sogar Waffen an potentielle Feinde liefert. Das wäre doch eine schöne Ironie, wenn die an der »Vilm van der Oosterbrijk« getestete Waffe gegen die Menschheit und damit letztlich auch gegen die Goldene Bruderschaft eingesetzt würde!

Die Fremdartigkeit der mit Eingesichtern verschmolzenen Vilmer kommt nie wirklich zur Geltung. Dabei zeigt ein Experiment, daß eine Trennung nach der Verschmelzung nicht mehr möglich ist, sie würde zu Wahnsinn und Tod führen, obwohl unter Einfluß einer der Rätselfrüchte ein neues Eingesicht das verstorbene ersetzen kann. Trotz dieser Einheit verhalten sich die Vilmer wie Menschen mit einem zusätzlichen Körper, nicht wie zwei zu einer Einheit verschmolzene intelligente Wesen. Nur sehr selten hat ein Verhalten oder Gedanke den Ausgangspunkt im Eingesicht, der menschliche Teil ist übermächtig.

Sprache und Stil sind gut und entsprechen dem ersten Teil. Die Erzählung erfolgt allerdings wieder eher gemächlich und mit einer gewissen Distanz, so daß es auch diesmal dem Leser schwerfällt, sich mit einem der Protagonisten zu identifizieren. Durch die größere Geschlossenheit der Geschichte in sich gelingt es dem Autor im 2. Band aber besser, den Leser zu fesseln.

Fazit: Man sollte unbedingt beide Bände zusammen lesen, da es sich um ein einziges Werk handelt, das nur aus technischen Gründen auf zwei Bücher aufgeteilt werden mußte. Es handelt sich um ein ungewöhnliches Buch, wobei ich zugeben muß, kaum DDR-SF zu kennen. Auch wenn der Inhalt bereits vor etwa 20 Jahren entstanden ist, sind die gesellschaftskritischen Inhalte nach wie vor aktuell. Die Geschichte wird in guter Sprache und gutem Stil, jedoch eher gemächlich und distanziert erzählt, ist jedoch gut zu lesen, ausreichend fesselnd und unterhaltsam. Der Hintergrund der beschriebenen Welt wird leider nur geringfügig beleuchtet. Die zum Teil fehlende Verknüpfung zwischen den Einzelgeschichten stört leider den Lesefluß. Trotz alledem durchaus empfehlenswert!


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Erstellt am So, den 02.08.2009 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Do, den 06.08.2009 um 21:16.