Frank W. Haubold, Heidrun Jänchen: Die Schatten des Mars

Frank W. Haubold, Heidrun Jänchen: Die Schatten des Mars. Erster Deutscher Fantasy Club (EDFC) e. V. 2007, ISBN 3-939914-00-2, Hardcover mit billiger Leimbindung und Schutzumschlag 14,5 cm x 20,3 cm, 360 Seiten, erste Auflage auf 100 numerierte Exemplare limitiert, 19,50 Euro beim Verlag, 35,00 Euro im Buchhandel

Frank W. Haubold, Heidrun Jänchen: Die Schatten des Mars

Martin Lundgren träumt schon als Kind von einer leuchtenden Stadt auf dem Mars. Ähnliche Träume haben auch der Biokybernetiker Julius Fromberg und die Ballerina Lena Romanova. Lundgren schafft es schließlich, der erste Mensch auf der Marsoberfläche zu sein, auch wenn bei der Landung etwas schiefgeht. Nach und nach sammeln sich einige Menschen mit seltsamen Träumen auf dem Mars, während auf der Erde der Krieg gegen das Shariat immer schlimmer wird. Die Situation auf dem Mars wird immer schwieriger, schließlich wird die Besiedlung ganz aufgegeben. Nur die wenigen Menschen mit den Träumen bleiben zurück und finden schließlich ihre Erfüllung in der unterirdischen Stadt der Marsianer.

Ein ungewöhnliches Buch, stellenweise sogar seltsam. Es erschließt sich dem Leser nicht direkt, es sträubt sich sogar ein wenig. Doch wer bereit ist, sich auf das Buch einzulassen und weiterzulesen, der wird mit einem besonderen Leseerlebnis belohnt. Frank W. Haubold gelingt es nämlich, eine einzigartige Stimmung zu erzeugen und über das ganze Buch ohne Brüche (sieht man einmal von der kurzen Gaststory von Heidrun Jänchen ab) aufrechtzuerhalten. Diese Stimmung ist schwer zu beschreiben, sie ist melancholisch, ohne dabei traurig oder pessimistisch zu sein. Diese Stimmung ist einzigartig und zeichnet diesen Episodenroman aus.

Vorhergehende Veröffentlichungen haben bereits gezeigt, daß einige der Einzelgeschichten auch unabhängig bestehen können. Der Episodenroman beweist nun, daß sich diese Geschichten nicht nur sehr gut zu einem größeren Ganzen fügen, sondern in ihrer Gesamtheit auch in eine neue Qualität umschlagen. Dabei reiht Haubold die Geschichten nicht einfach aneinander, sondern ordnet sie chronolgisch, was bei einigen Geschichten dazu führt, daß sie geteilt werden. Dadurch ergibt sich ein Flechtwerk von zunächst unabhängigen Erzählsträngen, die von vornherein durch die außergewöhnliche Stimmung miteinander verbunden sind und nach und nach enger miteinander verwoben werden. Dadurch entsteht ein dichtes Gespinst miteinander verwobener Schicksale. Erst mit dem Episodenroman habe ich Zugang zu den Mars-Geschichten Haubolds bekommen, zuvor hatte ich große Schwierigkeiten mit ihnen. Haubold gelingt es im Roman, die Einzelgeschichten zu einem komplexen Universum zu verflechten, das schließlich auch für mich Sinn ergibt. Von daher war das Buch für mich ein wahrer Augenöffner.

Die geschilderten Schicksale weisen viele Parallelen auf: Soweit dargestellt hatten alle bereits in ihrer Kindheit Visionen der Marsstadt Sadaika, sind männlich und haben die geliebte Frau auf tragische Weise verloren. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Erste ist die Ballerina Lena Romanova, die ein weibliches Gegenstück zu den ansonsten männlichen Hauptcharakteren bildet, denn sie hat den geliebten Mann verloren, ist aber auf andere Weise als die anderen zur Marsstadt gelangt. Zweite ist Sylvie, die ihre vierjährige Tochter Adrienne verloren hat. Die Geschichte »Adrienne« sticht aus mehreren Gründen deutlich aus den anderen Geschichten hervor: Hauptperson ist eine Frau, es geht nicht um den Verlust des/der Geliebten, sondern um den Verlust eines Kindes, der deutlichste Unterschied ist die andere Erzählweise, die sich vor allem durch das völlige Fehlen der melancholischen Grundstimmung bemerkbar macht. Grund für diese Anderartigkeit ist, daß diese Geschichte nicht von Frank W. Haubold, sondern von Heidrun Jänchen geschrieben wurde. Nicht daß Heidrun Jänchen eine schlechte Geschichte geschrieben hat - im Gegenteil, es ist eine wunderschön rührende Story - doch es gelingt ihr nicht, sich nahtlos in das von Frank W. Haubold geschriebene Werk einzufügen. Das soll keine Kritik an Jänchens schriftstellerische Fähigkeiten sein (die sich inzwischen zur Spitzengruppe der deutschen SF-Autoren hochgearbeitet hat), der Grund ist vielmehr, daß Haubold einen sehr ausgeprägten eigenen Schreibstil entwickelt hat, der sich einfach nicht reproduzieren läßt (und auch nicht reproduziert werden sollte!). Mich hat dieser Bruch im ansonsten harmonisch sich zusammenfügenden Episodenroman gestört, ohne daß dies den beiden Autoren anzulasten wäre - das passiert nun einmal, wenn Autoren zusammenarbeiten.

Bei der Genrebestimmung hatte ich zunächst Probleme, insbesondere mit den einzelnen Kurzgeschichten, die über die Jahre hinweg erschienen sind. Die düstere Stimmung und die Tatsache, daß die angeblichen Marsintelligenzen nie klar sichtbar auftreten, sondern nur in Träumen und manchmal unerklärlich geisterhaft erscheinen (die Geschichte von Heidrun Jänchen paßt auch hier nicht ins Bild), haben bei mir weniger den Eindruck von Science Fiction als vielmehr von Horror (oder Mystery, wie die harmloseren Horror-Formen heute auch genannt werden) gemacht. Nachdem ich jetzt den Episodenroman gelesen habe, der die Einzelgeschichten in einen sinnvollen Zusammenhang bringt, muß ich meine Meinung revidieren: »Die Schatten des Mars« ist definitiv Science Fiction. Frank W. Haubold gelingt es hier, Aliens im Wortsinn vorzustellen: Sie sind völlig fremd, so fremd, daß Menschen sie nicht einmal richtig wahrnehmen können. Viele Autoren haben bereits versucht, wirklich fremdartige Intelligenzen darzustellen, doch wenigen ist dies so überzeugend gelungen wie Frank W. Haubold im vorliegenden Episodenroman. Dabei bedient er sich der Erkenntnis, daß weniger manchmal mehr ist: Die Marsianer werden größtenteils nur angedeutet, was sie viel rätselhafter macht als wenn ihre Andersartigkeit lang und breit dargestellt worden wäre, denn durch solche Erklärungsversuche wären sie dem Leser besser verständlich geworden, was den Eindruck der Fremdartigkeit deutlich getrübt hätte.

Der Mars als Handlungsort von Science Fiction ist ja inzwischen ziemlich abgegrast. Seit H. G. Wells: »Der Krieg der Welten« und den Marsgeschichten von Edgar Rice Burroughs haben sich viele weitere Autoren mit dem Mars befaßt, viele hatten auch Marsianer im Werk verarbeitet. Dadurch ist es schwer geworden, über den Mars und Marsianer noch etwas Neues zu schreiben, zumal die Forschung immer deutlicher zeigt, wie schwer es einheimisches Leben auf dem Mars hätte. Wenigen Schriftstellern ist es seither gelungen, plausible einheimische Intelligenzen für den Mars zu postulieren, so zum Beispiel Larry Niven, der seinen Marsianern einen Stoffwechsel verpaßt hat, für den Sauerstoff Gift ist, und Robert A. Heinlein, der seine Marsianer als während der wasserreichen Zeit entstanden und inzwischen auf einer körperlosen Entwicklungsstufe angekommen darstellt. Haubold nutzt eine ähnliche Herangehensweise, geht dabei aber anders vor. Auch ist es schwierig geworden, über den Mars noch etwas wirklich neues zu schreiben. Trotzdem gelingt Haubold genau das. Der Mars wird von ihm auf neue und einzigartige Weise dargestellt, die seine Inspirationen nicht verleugnet, aber daraus etwas entschieden neuartiges erschafft. Der Autor bezieht sich im Nachwort auf die Mars-Chroniken von Ray Bradbury. Da ich diese bislang nicht gelesen habe (der Klappentext klang nicht nach meinem Geschmack), kann ich dazu leider nicht Stellung beziehen, vielleicht später einmal.

Fazit: Ein ungewöhnlicher Episodenroman, der sich abseits der üblichen Klischees der Science Fiction bewegt. Dem bekannten Thema Mars wird eine ganz neue und doch altbekannte Facette abgewonnen, die konsequent durcherzählt wird. Die Einzelgeschichten verweben sich zu einer stimmigen Welt mit einer ganz eigenen Stimmung, aus der nur die Geschichte von Heidrun Jänchen herausfällt, was aber nicht negativ zu werten ist. Das Buch ist nicht leicht zugänglich, aber wer sich darauf einläßt, wird mit einem einzigartigen Lesegenuß belohnt. Das Buch wurde zu Recht für den Deutsdchen Science Fiction Preis und den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert. Unbedingt empfehlenswert!

Die limitierte Ausgabe inzwischen vergriffen. Zur Preisverleihung gab es eine zweite, nicht mehr limitierte Auflage, die inzwischen auch ausverkauft ist, aber in Kürze nachgedruckt wird.


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Erstellt am Mo 28.04.2008 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Do, den 31.07.2008 um 22:21.